Zur Abwechslung mal ein Zeitungsartikel, wo wir alle nicht gleich als Spinner abgetan werden ...
Quelle: http://www.abendblatt.de/daten/2004/04/10/282507.html
Die Dinosaurier der Vorstadt
Die Kinohelden Starsky & Hutch wärmen ein Lebensgefühl aus den Sechzigern und Sieb- zigern auf: Halbstarke Jungs wollten dicke Schlitten und reichlich PS haben - Mucle Cars. Tino Lange über die rollende Unvernunft - eine, die Spaß macht!
Etwas war faul in der Automobil-Metropole Detroit, anfang der 60er-Jahre: Die US-Jugend hatte zwar durch den Wirtschaftsboom der 50er reichlich Dollars und gab sie auch aus - nur nicht für Produkte aus den Häusern General Motors, Ford und Chrysler. Deren Sortiment beschränkte sich auf teure Sportwagen wie die Corvette oder tantige Familien-Kutschen. Nicht gerade prädestiniert für halbstarkes motorisiertes Herumlungern auf der Straße, erkannten die besorgten Hersteller. Es musste schleunigst was getan werden. Das Ergebnis führte in eine neue Ära: die der Muscle Cars, eine der spektakulärsten und heißesten Phasen im Automobilbau.
1964 gingen die großen drei der PS-Zunft volles Risiko, als sie nahezu zeitgleich den Pontiac Tempest GTO, den Ford Mustang und den Plymouth Barracuda enthüllten: für amerikanische Verhältnisse kompakte (!), leichte und günstige Zweitürer ohne viel Zierrat, aber mit mächtigen V8-Maschinen unter der Haube. Der Erfolg vor allem des Mustangs - 680 000 der ersten Ponys verließen die Werkshallen - führte zum offenen Schlagabtausch. Jedes Jahr überboten sich die Konkurrenten mit immer kräftigeren Modellen (8 Liter Hubraum? Gerne doch!), noch poppiger und auf pure, rohe Asphalt- Aggression gestylt.
Sie hießen Charger, Super Bee, Rebel Machine, The Judge, Duster, Torino Cobra oder Cougar Eliminator. Sie waren in Plum Crazy, Sassy Sass Green oder Big Bad Orange lackiert. Die Zubehör-Gimmicks wie monströse Lufthutzen schienen unendlich. Der 69er Plymouth Roadrunner etwa brauchte kein Chrom und keine Intarsien. Dafür gabs zwei dicke schwarze Streifen auf der Motorhaube, den berühmten Cartoon-Vogel als Logo und das dazugehörige "Miepmiep" als Hupe. In der Konsequenz: jugendlicher Leichtsinn auf Gummiwalzen . . . serienmäßig mit mehr als 400 PS.
Und so raste Amerikas Jugend, angestachelt von "selbstbewusster" Reklame, legal über öffentliche Rennstrecken, lieber aber noch illegal über staubige Highways und durch Häuserschluchten. Treffen am "Diner", Motorhaube auf, höhnisches Lachen und ab zur nächsten Ampel, zum ultimativen automobilen Zentimeter-Vergleich. Aber auch zur unbegrenzten Freiheit, der Weg dorthin war das Ziel. "Easy Rider" auf vier Rädern.
Doch gerade als der PS-Wahn Anfang der 70er auf seinem Höhepunkt angelangte, als reinrassige Rennwagen wie Dodge Charger Daytona und Plymouth AAR Cuda mit mächtigen Spoilern und extravaganten Streifen-Mustern "street legal" aus den Garagen rollten, kam das Ende: Extrem steigende Versicherungskosten und Steuern, Sicherheitsbestimmungen und letztendlich die Ölkrise verbannten die gefürchteten Benzin-Monster zuerst in die hintersten Ecken der Verkaufsräume und dann in die Schrottpressen und abgelegenen Waldstücke. Nach zehn Jahren Materialschlacht hieß es plötzlich "Miles per gallon" statt "Horsepower". Als Regisseur Richard C. Sarafian im Kult-Roadmovie "Fluchtpunkt San Francisco" (1971) Barry Newman in einem weißen Dodge Challenger als "Last American Hero" gegen eine Bulldozer-Barriere schickt, nimmt er das Ende vorweg.
Und heute? Im 21. Jahrhundert sind die Muscle Cars alter Tage gesucht wie urzeitliche Dinosaurier-Skelette. Extrem rare Modelle wie der Plymouth Superbird erzielen auf Sammler- oder in Internetbörsen sechsstellige Dollar-Preise, während noch Hunderte rostiger Wracks in Scheunen und Hinterhöfen auf ihre Restaurierung warten. Buicks, Pontiacs und Co. sind zu Popstars geworden. Deshalb schmücken Beyoncé Knowles, Audioslave, ja sogar - oder leider - Jeanette Biedermann ihre Videoclips mit "Detroit Iron"; Muscle-affine Filme wie "The Fast & The Furious", "Starsky & Hutch" oder "Nur noch 60 Sekunden" werden zu Blockbustern; und Mattel, Carrera oder Ertl verdienen sich mit kleinen Plastik- und Blech-Mustangs eine goldene Nase.
Mit entsprechender Pflege und Originalität sind Camaro und Challenger in Deutschland sogar amtlich "Kraftfahrzeug-Technisches Kulturgut" und fahren als Oldtimer gekennzeichnet einträchtig neben den automobilen Relikten Käfer, Mercedes-Pagode oder Ente. Ganz gemächlich, nur am sonnigen Wochenende, denn 20 Liter auf 100 Kilometer sind heute Luxus.
Aber tief unten im gurgelnden Motorblock sitzt etwas, das sagt: "Komm schon! Tritt drauf. Ich bin ein Raubfisch! Ein Wildpferd!" Lieber nicht. Aber wir wissen, dass unter der vibrierenden Haube eine Seele steckt. Zwar unvernünftig, aber verlockend. Nicht hinhören! Nicht hinhören! Nicht hinhören . . .